Im Einsatz für den „König des Waldes"

83 Jagdreviere, vier Förstereien: Deutschlands ältester Rotwildhegering feiert sein 100-jähriges Bestehen

Eine Institution seit 1969: Bei der Abwurfstangenschau in Barlohe kann man sich einen Eindruck von der Vitalität des Rotwildbestands verschaffen. Fotos: Hans-Jürgen Kühl

Das 100-jährige Bestehen des Rotwildhegerings Barlohe von 1922 wurde im Forum in Hohenwestedt mit Fachvorträgen von Experten aus dem ganzen Bundesgebiet, einer Trophäenschau mit den mächtigsten Geweihen der Vereinsgeschichte sowie einem abendlichen Schnitzelbuffet gefeiert. Der Zusammenschluss von aktuell 83 Revieren und vier Förstereien ist der älteste Rotwildhegering Deutschlands.

Rotwild stand kurz vor dem Aussterben

war ein Bis ins Mittelalter Schleswig-Holstein dichtbewaldetes Land, und der unumstrittene „König des Waldes" war der Rothirsch. Die fortschreitende Waldvernichtung, eine Agrarreform Ende des 18. Jahrhunderts, die Freigabe der Jagd nach 1848, diverse Kriege mit den damit verbundenen Hungersnöten und der daraus resultierenden Wilderei verschlechterten die Situation des auf Lebensraumveränderungen sehr sensibel reagierenden Rotwilds immer weiter. Insbesondere während und nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch eine sprunghaft angestiegene Zahl von Jägern der Bestand so drastisch reduziert, dass das Rotwild hierzulande kurz vor dem Aussterben stand.

Hans-Jochen Mißfeldt
Hans-Jochen Mißfeldt

Auf nur noch sieben Exemplare wurde die Rotwild-Population in Mittelholstein geschätzt, als die Jäger von fünf Revieren und das Forstamt Barlohe vor 100 Jahren beschlossen, den ,,König des Waldes" zu retten. Die Jagdreviere Nienborstel, Brinjahe, Embühren und Stafstedt, die Eigenjagd „Wolkenhaar" (Holtdorf), die Revierförsterei Haale und die Forstwartei Luhnstedt waren dabei, als am 26. Februar 1922 der „Jagdverein im Wohld und Umgebung" gegründet wurde. Zum Schutz des Rotwilds ordnete der neue Hegering eine 15-jährige strenge Schonzeit an. War die Gründung des ersten deutschen Rotwildhegerings ein Pionierprojekt zum Artenschutz, oder handelten die Jäger, die ja gern auf die Pirsch gehen, auch ein wenig im eigenen Interesse, um auch in Zukunft noch Rotwild in ihren Revieren zu haben, dem sie nachstellen können? „Es war wohl ein bisschen von beidem, aber es herrschte große Einigkeit darüber, dass man Wildbeden stand erhalten wollte", meint Hans-Jochen Mißfeldt, der 100 Jahre später die Geschicke des Rotwildhegerings Barlohe leitet.

Der Nindorfer ist der Chef einer Hegegemeinschaft, die sich peu à peu vergrößert hat und heute 83 Jagdreviere, vier Förstereien und eine Gesamtfläche von 48000 Hektar umfasst. ,,Das ist fast die gesamte südliche Hälfte des Kreises", erläutert Mißfeldt. Alle Mitgliedsreviere beherzigen bei ihrer Jagd auf das Rotwild zwei Grundsätze: 1. ,,Wir wollen auch in Zukunft starkes und gesundes Rotwild in einer Zahl haben, die eine nachhaltige Bejagung zulässt" und 2. „Der Rotwildbestand darf nicht zu unvertretbaren Schäden in der Land- und Forstwirtschaft führen." ,,Unser Vorstand gibt jedes Jahr Abschusspläne für alle Reviere vor, die von der unteren Jagdbehörde genehmigt werden", erklärt Mißfeldt.

Als Ergebnis von 100 Jahren Hegearbeit tummeln sich heute geschätzte 250 Exemplare Rotwild im südlichen Kreisgebiet. „Das ist eine Inselpopulation mit einer Stückzahl, die okay ist", befand Michael Petrak vom ,,Wildlife Research Institute" des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen, der aus Bonn nach Hohenwestedt angereist war, um das Jubiläumsfest mit einem Vortrag über die „Biologie des Rotwilds" zu bereichern. Jeder Waldspaziergänger könne einen Beitrag zum Schutz des Rotwilds leisten, vermerkte Petrak: ,,Alle können dem Rotwild helfen, indem sie auf den Wanderwegen bleiben." Dass man als Spaziergänger in Wald und Flur mal Rothirsche oder Kahlwild zu sehen bekommt, ist trotz der gesunden Population sehr unwahrscheinlich. ,,Dazu ist das Rotwild zu sensibel und scheu", weiß der ehemalige Leiter des Forstamts Barlohe, Georg Volquards.

Um der Bevölkerung einen Eindruck vom jeweils aktuellen Bestand des ja weitgehend „unsichtbaren" Rotwilds zu ermöglichen, initiierte Volquardts 1969 die jährliche Abwurfstangenschau im Haaler Gehege. Die Mächtigkeit der Hirschgeweihe ist immer auch ein Indikator für die Vitalität der Gesamtpopulation. Die Geweihe der Rothirsche werden nach einem Punktesystem bewertet. Es gilt: je mehr Punkte, desto mächtiger das Geweih.

1984 erlegte Claus Wittmaack aus Luhnstedt einen Hirsch, dessen Geweihstangen 106 Zentimeter lang waren. Das Geweih bekam 226,57 Punkte und wurde 1986 bei der Deutschen Jagdausstellung in Nürnberg gezeigt, weil das Exemplar aus Luhnstedt als bis dahin stärkster erlegter Hirsch der Nachkriegszeit galt. 2006 toppte Reimer Tank aus Mörel den Rekordwert mit einem 229-Punkte-Hirsch. Es ist kein Zufall, sondern wiederum ein Beleg für den überaus vitalen Rotwildbestand, dass auch dieser Spitzenwert nun im Jubiläumsjahr pulverisiert wurde: von Lutz Wittmaack aus Osterstedt (von der Hohenwestedter Schützengilde 2019 vorausschauend mit dem Königsbeinamen ,,der Jagende" ausgestattet), der einen 245-Punkte-Hirsch zur Strecke brachte.

Vor allem zwei Sorgen für die Zukunft

Was die Zukunft angeht, hat man beim Rotwildhegering Barlohe vor allem zwei Sorgen, wie der 3. Vorsitzende, Eggert Rohwer aus Oldenhütten, ausführt: ,,Das Rotwild leidet sehr unter der zunehmenden Zersiedelung des Landes, und durch die im Zuge der Energiewende entstehenden Flächensolarparks werden die Wanderrouten der Tiere weiter zerschnitten, wodurch der für den Fortbestand der Art so wichtige genetische Austausch zwischen unterschiedlichen Populationen verhindert wird." Hans-Jürgen Kühl