Die Sache mit den Traditionen

Alte und neue Rituale zu Weihnachten

Diese Tüte wird jedes Jahr wieder herausgeholt.

Ich mag Weihnachten. Man trifft alte Bekannte beim Bummeln in der Stadt wieder, die Familie kommt zusammen und ich habe unglaublich viel Freude daran, anderen beim Auspacken von Geschenken zuzusehen. Über die Jahre lege ich immer mehr Wert auf Traditionen. So gehe ich schon seit rund 20 Jahren mit einer meiner ältesten Freundinnen und ihrer Familie am Heiligabend gegen Mittag zum Glühweinstand in die Innenstadt. Da kämpfen wir eine halbe Stunde um einen heißen Kakao, der auf dem Weg zu unserem Treffpunkt - etwas abseits des Getümmels - bereits abgekühlt oder teilweise verschüttet ist. Eine besonders liebgewonnene Tradition. Ein voller Becher mit heißem Kakao wäre einfach nicht das Gleiche an Heiligabend.

„Das Warten auf die Bescherung wird auch im zunehmenden Alter nicht erträglicher. Das merke ich jedes Jahr aufs Neue.”

Nächster Stopp ist dann das Weihnachtssingen bei einer langjährigen Freundin der Familie. „Rudolph mit der roten Nase", ,,Schneeflöckchen, Weißröckchen“ oder „Stille Nacht, heilige Nacht" mal begleitet von einer Gitarre, mal a cappella. Jedes Mal gipfelt es mit einer kleinen Träne im Auge, wenn meine Mutter und ich ,,Dat Joahr geiht to End" singen. Danach ein Glas Sekt, eine erste Bescherung und dann ab nach Hause aufs Sofa.

Autorin Jana Falk ist Redakteurin in der Wochenzeitungen- und Sonderthemenredaktion für die Region Steinburg. FOTOS: SH:Z
Autorin Jana Falk ist Redakteurin in der Wochenzeitungen- und Sonderthemenredaktion für die Region Steinburg. FOTOS: SH:Z

Nach etwa zwei Stunden nimmt dann dort eine etwas neuere, aber schon sehr liebgewonnene Tradition ihren Lauf. Eine knapp einen Meter hohe Weihnachtstüte, die exakt zwölf Monate Zeit hatte, sich in ihr grau verstaubtes Weihnachtskleid zu hüllen, wird hinter dem Schrank hervorgezogen und mit den Geschenken für die Familie gefüllt. Mal ist sie schwer, mal leicht, mal voll, mal etwas leerer - aber immer finden sich darin liebevoll verpackte Präsente. Noch ein prüfender Blick: Haben wir alle beisammen? Überzeugtes Nicken und ab geht es zu meiner Oma, die bereits mit einem überragenden Weihnachtsessen auf uns wartet.

Das gute Geschirr und Besteck liegen Tischdecke neben auf der gebügelten den Stoffservietten – umhüllt von Klassikern der Weihnachtsmusik aus der alten Stereoanlage. So sehr ich es auch im Advent liebe, Mariah Careys Weihnachtsalbum im Wohnzimmer laut aufzudrehen und mitzusingen: Hier würde es nur die Stimmung kaputt machen.

Das Warten auf die Bescherung wird auch im zunehmenden Alter nicht erträglicher. Das merke ich jedes Jahr aufs Neue. Da unsere Runde immer kleiner wird, haben wir uns auch entschieden, unsere Geschenke zu verwürfeln, um das Ganze etwas in die Länge zu ziehen. Ich glaube, spannender war es selbst als Kind kaum. Wer eine Sechs würfelt, bekommt ein Geschenk. Aber Vorsicht: nur gucken, nicht anfassen! Auch wenn Oma sich manchmal gern vor lauter Neugier darüber hinwegsetzen würde: Erst bei der nächsten Sechs darf ausgepackt werden und die ganze Runde schaut mit Spannung zu, was sich unter dem glänzenden Papier verbirgt.

So gehen gern einmal mehrere Stunden mit lautem ,,Ah“, „Oh“ und ,,Wow" ins Land, begleitet von dem einen oder anderen Klassiker der Weihnachtsbäckerei aus Omas unverwechselbarer Keksdose. Langsam lichtet sich der Paketberg unter dem Baum. Ein prüfender Blick: Nein, es fehlt kein Geschenk. Immerhin war das Versteck zuhause ja bei der Abfahrt auch leer...

Im Bett gehe ich später innerlich meinen Wunschzettel durch und bin immer wieder unglaublich dankbar, wie viele meiner Wünsche mir erfüllt wurden. In diesem Hochgefühl und dem einen oder anderen Glas Wein und einem Ohrwurm von Elvis Presleys Version von ,,Silent Night, Holy Night" im Kopf mache ich die Augen zu und dann aus dem Nichts erwischt sie mich: die neueste aller Weihnachtstraditionen.

Vom Gästezimmer aus rufe ich durch die geschlossene Tür: ,,Mama!!!" Sofort geht die Tür auf und mit erstaunten und fragenden Augen schaut sie mich an: ,,Was ist los?"... Ich gucke sie an und traue mich kaum zu fragen, tue es dann aber doch: ,,Hast Du nicht ein Geschenk vergessen?" Es dauert einen Augenblick und dann fängt sie an zu lachen. Wie in den Vorjahren hat sie ein weiteres Mal den Terminkalender vergessen. Das Geschenk, das ich mir bereits beim vergangenen Weihnachtsfest gewünscht und das sie bereits im Sommer gekauft hatte. Aber wie schön ist es dann am ersten Weihnachtsfeiertag aufzuwachen und zu wissen, dass da noch ein Geschenk wartet und ich Mama sagen kann: „Der ist aber schön. So einen wünsche ich mir auch fürs nächste Jahr!"