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Das fast vergessene Jahrhundert-Bauwerk

Der Eiderkanal

In Schleswig-Holstein schlummert ein Jahrhundert-Bauwerk im Dornröschen-Schlaf. Der Eiderkanal war 1784 die weltweit erste künstliche Wasserstraße für seegängige Schiffe. Heute spielt der Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals im Bewusstsein der Menschen kaum noch eine Rolle. Ein Rendsburger Rechtsanwalt und ein Kieler Schiffbauexperte wollen das ändern. SAMMLUNG DR. J. ROHWEDER

Es muss um das Jahr 1770 gewesen sein, als sich der dänische König Christian VII. entschloss, einen Kanal quer durch seine Herzogtümer Schleswig und Holstein zu bauen. Bereits vier Jahre später erlässt er tatsächlich eine königliche Kabinettsorder, diesen Kanal zwischen Nord- und Ostsee zu graben, um den Handel zu fördern und alle Gewerbezweige auszuweiten.

Das Foto links dürfte eine der ältesten Aufnahmen zum Eiderkanal sein. Es zeigt die Ausfahrt bei Holtenau um 1887. Das Foto rechts entstand an der Ladestelle Knoop. Die Idylle trügt. Die Arbeit der Decksmannschaften insbesondere beim Be- und Entladen war hart. SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER
Das Foto links dürfte eine der ältesten Aufnahmen zum Eiderkanal sein. Es zeigt die Ausfahrt bei Holtenau um 1887. Das Foto rechts entstand an der Ladestelle Knoop. Die Idylle trügt. Die Arbeit der Decksmannschaften insbesondere beim Be- und Entladen war hart. SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER

Und schon zehn Jahre später ist das Bauwerk fertig - am 18. Oktober 1784,  frühmorgens um sechs Uhr, legen das Kanalschiff ,,Rendsburg" und ein Paketboot in Kiel ab, um als erste Schiffe durch den neuen Kanal zu fahren. Ganz ohne Jubelfest, ohne königlichen Besuch, ohne durchschnittenes rotes Band. Der Kanal war fertig und los ging es. Dieses für die damalige Zeit einzigartige Bauwerk mit seinen modernen Schleusenanlagen galt als technische Meisterleistung, die in ganz Europa bewundert wurde.

REICHTUM AUS SKLAVEN, ZUCKER UND RUM

Vorsitzender des Eiderkanals Inbetriebnahme Graf Heinrich Carl Schimmelmann trieb als der Kanalkommission den Bau voran. Er starb zwei Jahre vor der künstlichen Wasserstraße. SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER
Vorsitzender des Eiderkanals Inbetriebnahme Graf Heinrich Carl Schimmelmann trieb als der Kanalkommission den Bau voran. Er starb zwei Jahre vor der künstlichen Wasserstraße. SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER

Der damals reichste Mann Dänemarks, Graf Heinrich Carl von Schimmelmann trieb als Vorsitzender der Kanalkommission den Bau voran, zumal er dabei auch seinen eigenen Nutzen im Auge hatte. Schimmelmann hatte als preußischer Heereslieferant sowie durch Spekulations- und Finanzgeschäfte ein Vermögen gemacht. Er wechselte in den Dienst Dänemarks, konsolidierte die dänischen Staatsfinanzen und wurde später in den Adel erhoben. Als Teilhaber einer dänischen Handels-Compagnie mehrte er seinen Reichtum im „Dreieckshandel“ – Waren und Waffen aus eigener Produktion gingen per Schiff nach Westafrika. Dort wurden mit den Warenerlösen Sklaven eingekauft, in die Karibik nach Westindien verschifft und dort weiterverkauft oder auf eigenen Zuckerrohrplantagen Schimmelmann besaß selbst vier Plantagen auf St. Croix - eingesetzt. Zucker und Rum wurden nach Europa exportiert und zu noch größeren Gewinnen gewandelt. Für diesen Handel setzte Schimmelmann auch eine Flotte von 14 eigenen Seglern ein, die den neuen Kanal auf der Reise von und nach Kopenhagen nutzen sollten.

Noch vor der Eröffnung des Eiderkanals starb Schimmelmann 1782 und sein Sohn Ernst (1747 bis 1831) trat in seine Fußstapfen als Verwalter des riesigen Vermögens der Schimmelmanns und als dänischer Finanzminister.

,,QUELLE DES SEGENS" FÜR ALLE BEGLÜCKTEN UNTERTANEN

In Schleswig-Holstein rührte der Schleswiger Bürgermeister  Georg Bruyn mit einer auf Deutsch und Dänisch verfassten Broschüre eifrig die Werbetrommel für den neuen Kanal:

„Wir wollen einander gegenseitig auffordern, diese Wohltat der Regierung in ihrem ganzen Umfang zu genießen. Aber nicht allein wir, die wir unmittelbar an den Ufern des Kanals wohnen, sondern alle, für welche unter der Regierung Christian VII. diese Quelle des Segens geöffnet ist, alle beglückten Untertanen seines Szepters... Laßt uns einander auffordern, diesen neuen Weg des Kanals zu betreten...."

MEHR SICHERHEIT FÜR MANNSCHAFT UND SCHIFF

Die Frage, welche wirtschaftliche Bedeutung dieses Bauwerk für Schleswig und Holstein seinerzeit gehabt hat, beschäftigt auch die beiden ehemaligen Vorsitzenden des Canal-Vereins", den Rendsburger Rechtsanwalt Dr. Ernst Joachim Fürsen und den Kieler Schiffbau-Experten und Landeshistoriker Dr. Jürgen Rohweder. ""

,,Der dänische Gesamtstaat hatte ein großes Interesse daran, die gefährliche Umrundung von Kap Skagen für seine Schiffe zu vermeiden und eine sichere Route von der Nordsee in die Ostsee zu schaffen", sagt Fürsen, „aber man hatte auch große wirtschaftliche Erwartungen, sonst hätte man diese großen Packhäuser in Holtenau, Rendsburg und Tönning nicht gebaut, die bis zum heutigen Tag vorhanden sind."

Um Zeit und Geld zu sparen, orientierte man sich beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals an der Streckenführung des Eiderkanals.
Um Zeit und Geld zu sparen, orientierte man sich beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals an der Streckenführung des Eiderkanals.

Für Dänemark war das Projekt Eiderkanal keine Kleinigkeit. Rohweder: „Der Eiderkanal war die größte Investition des dänischen Staates in die Wirtschaftsstruktur der Herzogtümer Schleswig und Holstein." Doch konnte der Kanal die großen Hoffnungen auf seinen wirtschaftlichen Erfolg nicht erfüllen. Ursprünglich wollten die Planer, dass der Kanal alle großen Städte in Schleswig und Holstein miteinander verbinden sollte. ,,Aber diese große Lösung hätte einen kompletten Jahresetat des dänischen Staats verschlungen, was natürlich unmöglich war", so Rohweder. Deshalb baute man die kleine Lösung, eine 34 Kilometer lange Wasserstraße von Kiel nach Rendsburg. Von wo es dann über die Eider weiter nach Tönning und in die Nordsee ging. So blieb nur ein Transitkanal, den die Schiffe überwiegend für die Passage zwischen Nord- und Ostsee nutzten, ohne Waren zu laden oder zu löschen – immerhin 30 000 Schiffe in den 111 Jahren seiner Betriebszeit.

Insgesamt sechs Schleusen wurden für den Eiderkanal gebaut. Sie alle waren 35 Meter lang und 7,8 Meter breit. Die Hubhöhe lag zwischen 2,3 und 2,6 Meter. QUELLE: SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER
Insgesamt sechs Schleusen wurden für den Eiderkanal gebaut. Sie alle waren 35 Meter lang und 7,8 Meter breit. Die Hubhöhe lag zwischen 2,3 und 2,6 Meter. QUELLE: SAMMLUNG DR. JÜRGEN ROHWEDER

An den Ufern des Kanals siedelten sich kleine und große Unternehmen an. Fürsen: „Der Kanalbau war ein erster Schritt zur Industrialisierung unseres damals von Landwirtschaft und Fischerei geprägten Landes." Allerdings: Wie bei manchem Vorhaben der Neuzeit liefen die Baukosten aus dem Ruder, nicht zuletzt durch die hohen Preise beim Landerwerb und die enormen Kosten für die seinerzeit sehr modernen Schleusenanlagen. Eine dauerhafte Belastung für den dänischen Staat war der Kanal aber nicht, wie Rohweder betont: ,,Fairerweise muss man anerkennen, dass sich die Betriebskosten durch die Einnahme von Passage-Geldern und Zöllen selbst getragen haben."

PROTESTE DER GUTSHERREN, ZÜGELLOSIGKEIT DER ARBEITER

Schon während des Kanalbaus gab es Auseinandersetzungen mit den Grundeigentümern. Sie fürchteten, der Verlauf der neuen Wasserstraße werde ,,die Wehre beseitigen, den Aalfang zerstören und damit auch die Wiesen beseitigen".

Allerdings brachten die Bauarbeiten den Gütern auch neue Einnahmen. Pastor Johann Friedrich Scholtz erinnert sich 1824:

„In der Bovenauer Gemeinde herrscht ein reges Leben, indem sich auf einem kleinen Fleck derselben zu Zeiten mehrere Tausend Menschen aufhielten... Schlachter, Bäcker, Krüger, Marketender und andere Nahrungstreibende hatten sich von den vielen Arbeitern am Kanal zu nähren... Auf dem Hof Osterrade war von dem Besitzer eine große Branntweinbrennerei und zu Kluvensiek eine Bäckerei eingerichtet worden... In den Dörfern hatten die Arbeiter sich bei 20, 30, ja 60 Personen in den Häusern einquartiert... Wie natürlich ging es auch nicht immer nach Sitte und Ordnung, Zügellosigkeit im Reden und Thun war unter einem solchen Haufen roher Menschen oft an der Tagesordnung."

Obwohl das ,,Nachtschwärmen und der Verkehr mit liederlichen Dirnen“ verboten war, finden sich zu der Zeit in den Kirchenbüchern zahlreiche Eintragungen unehelicher Geburten.

Zu Beginn des Kanalbetriebs durften Waren nur in Holtenau oder in Rendsburg an Bord genommen werden. Die Schiffe wurden sogar zur Kanalpassage versiegelt. Das passte natürlich den Gutsbesitzern und den am Kanal liegenden Ortschaften nicht. Sie forderten eine Reduzierung der Zölle und den Bau von Umschlagplätzen am Kanal. So schrieb der Besitzer des Gutes Kluvensiek im Juni 1785 an den dänischen König:

,,Gleichwohl ist bey der Entschädigungsbehandlung ein Ladeplatz zu Cluvensiek und einer zu Steinwehr reserviret, auch zugestanden und von der Königlichen Ausführungs-Commission verfertigt worden und sind selbige zur An- und Abfahrt der Guts-Producte ebenso nothwendig, als auch da viele Wiesengründe von diesen Gütern zum Canal-Bau weggegangen (sind)...“

Da auch von den anderen Gütern solche Schreiben in Kopenhagen eintrafen, wurde das Verbot jeglichen Hafenbetriebs noch im gleichen Jahr wieder aufgehoben und es wurden auf königliche Rechnung zahlreiche Ladeplätze am Kanal eingerichtet.

ARBEIT UND GELD FÜR DREITAUSEND

Was hat der Kanal den Menschen in Schleswig und Holstein gebracht? ,,Zunächst hat er etwa dreitausend Menschen für vier Jahre gute Arbeit eingebracht. Außerdem haben zahlreiche Unternehmen Baumaterialien geliefert und mit anderen Leistungen am Kanal gutes Geld verdient", weiß Dr. Rohweder. Aus Sicht von Fürsen gab es positive wirtschaftliche Folgen weit über die Zeit des Kanalbaus hinaus. In Nübbel etablierten sich sechs Werften, in Büdelsdorf die legendäre Carlshütte, aus der später das Weltunternehmen ACO hervorging. „Nur Rendsburg als nicht wirtschaftsorientierte Garnisonsstadt merkte von diesem Aufschwung eher wenig", erläutert Fürsen.

AUF DEN SPUREN DES KANALS

Experten für den Eiderkanal: Dr. Ernst Joachim Fürsen und der Kieler Schiffbau-Experte und Historiker Dr. Jürgen Rohweder (rechts) FOTO: LIPSKY
Experten für den Eiderkanal: Dr. Ernst Joachim Fürsen und der Kieler Schiffbau-Experte und Historiker Dr. Jürgen Rohweder (rechts) FOTO: LIPSKY

Auch nach fast 240 Jahren sind noch Kanalbauwerke in der Landschaft Schleswig-Holsteins zu finden. Sie gelten als das größte technische Denkmal in Schleswig-Holstein.

Bei Kluvensiek existiert eine liebevoll restaurierte Schleusenanlage mit Info-Pavillon und einem rund sechs Kilometer langen Teilstück des historischen Kanals. Auch in Kleinkönigsförde und Rathmannsdorf sind weitere Schleusen erhalten, neben den bereits erwähnten Kanal-Packhäusern.

Die Erhaltung hatte sich zwischen 1980 und 2017 der ,,Canal-Verein“ mit bis zu 600 Mitgliedern auf seine Fahnen geschrieben. Diese Leistungen wurden in 31 Bänden der wissenschaftlichen ,,Mitteilungen des Canal-Vereins“ auf 6500 Seiten festgehalten. Gegründet wurde die Vereinigung von Fürsen, der Persönlichkeiten des Landes zusammenbrachte, um dieses einmalige Denkmal mitten im Land zu retten. Ihm folgte Rohweder, der den Verein bis 2017 leitete.

,,Wir haben von mehreren Landesregierungen großzügige Unterstützung erhalten, um die wunderbaren, alten Bauwerke zu erhalten. Was uns natürlich gefreut hätte, wäre wenn auch touristisch mehr daraus gemacht worden wäre", so Fürsen. 2024 wird der Kanal 240 Jahre alt. Rohweder hat einen Wunsch zum Jubiläum: „Für die Zukunft des Kanals würde ich mir wünschen, dass die Tourismusverbände im Land dieses einmalige Denkmal mehr in den Mittelpunkt des Interesses rücken würden. Der Eiderkanal hat es verdient." Stefan Lipsky