"Eine handwerkliche Ausbildung schafft Freiheiten und Perspektiven"

Seit Anfang letzten Jahres ist Björn Geertz Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Flensburg. Mit unserer Mitarbeiterin Silke Kurtz hat sich der Diplom-Betriebswirt über Ziele, Wege und Perspektiven des Handwerks unterhalten.

Herr Geertz, Sie sind nun ein knappes Jahr in Ihrem Amt. Was verbindet Sie mit dem Handwerk? Oder anders gefragt: Haben Sie selbst einen handwerklichen Hintergrund?
Ich habe ursprünglich eine Ausbildung zum Tischler gemacht. Aufgrund gesundheitlicher Probleme musste ich mich aber leider umorientieren. Nach einer weiteren Ausbildung studierte ich noch einmal Betriebswirtschaft und kam im Jahr 2013 zur Kammer.

Aktuell haben wir wirtschaftlich gesehen bewegte Zeiten. Hat sich aus Ihrer Wahrnehmung heraus die Stimmung bei den Betrieben im Vergleich zum Vorjahr verändert?
Die Stimmung hat sich sehr verändert. Corona gehört zum Glück der Vergangenheit an. Durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar letzten Jahres sind die Probleme aber nicht kleiner geworden. Hohe Energiekosten, hohe Inflation, Lieferengpässe und anderes mehr belasten auch das Handwerk. Die steigenden Zinsen machen sich nun auch sehr deutlich im Bausektor bemerkbar. Ungeachtet davon ist der Fachkräftemangel ein weiteres großes Problem.

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Als Kammervertreter haben Sie auch viel mit der Politik zu tun. Gelingt es da, sich für die geschilderten Probleme auch Gehör zu verschaffen?
Wir verstehen uns als Dienstleister für unsere Handwerksbetriebe und haben durch die große Zahl von Betriebskontakten einen guten Überblick über das, was aktuell die Betriebe beschäftigt und belastet. Und all das lassen wir in die Arbeit mit der Politik, sei es auf Landes- oder auch auf Bundesebene, mit einfließen. Gleichwohl möchten wir auch die Betriebe dazu ermutigen, die vielfältigen Beratungsangebote der Handwerkskammer abzurufen. Auch durch deren Inanspruchnahme kann vielen Betrieben bereits geholfen werden.

Im SH gibt es eine vergleichsweise hohe Dichte an Handwerksbetrieben jeglicher Couleur. Wie entwickeln sich aktuell die Ausbildungszahlen?
Das Image des Handwerks hat sich in den letzten Jahren sicherlich zum Positiven verändert. Ungeachtet dessen ist es aktuell schwierig, die alle Lehrstellen im Handwerk zu besetzen. Zum einen gehen die Schulentlasszahlen zurück, zum anderen ist der Trend zum Abitur mit nachfolgendem Studienwunsch ungebrochen. Hier muss eindeutig die Berufsorientierung an den Schulen verbessert werden. Und es muss mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, dass eine duale Berufsausbildung schlechtere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten bietet als ein Studium. Gerade vor dem Hintergrund der ambitionierten klima- und umweltpolitischen Ziele passt das Handwerk mit seinen Berufen in die Zeit. Ohne das Handwerk können diese Aufgaben nicht bewältigt werden. Und das bietet auch enorme persönliche Chancen für diejenigen, die ihre berufliche Zukunft im Handwerk sehen.

Was bietet die Handwerkskammer an, um jungen Menschen den Zugang in einen handwerklichen Beruf schmackhaft zu machen?
 Wir versuchen die Ausbildungsbetriebe bei ihren Anstrengungen zu unterstützen. Wir sind mit unserem Personal bei Berufsmessen im Einsatz und unterstützen die Schulen beim Thema Berufsorientierung. Zudem kooperieren wir mit allgemeinbildenden Schulen, zeigen den Schülerinnen und Schülern unsere Werkstätten. Und wir sind natürlich auch Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler und deren Eltern und helfen auch bei der Ausbildungsplatzsuche.

„Das Geld liegt auf der Straße“ oder „Handwerk hat goldenen Boden“ - haben diese Aussagen immer noch Bestand oder verändert sich die analoge Arbeitswelt gerade zu sehr in digitale Richtung?
Im Handwerk wird Geld verdient. Sicherlich gibt es auch immer mal wieder Phasen, in denen die Konjunktur lahmt. Unter dem Strich bietet das Handwerk mit seinen Betrieben Produkte und Dienstleistungen an, die auch in Zukunft nicht wegzudenken sind.

Mit dem Mobilitätsprojekt, auf welches in diesem Heft noch näher eingegangen wird, öffnen sich weitere Horizonte im Handwerk. Wie stehen Sie persönlich zu diesem Projekt?
Das Thema Fachkräftemangel und die Schwierigkeit bei der Besetzung von Lehrstellen habe ich bereits erwähnt. Die Mobilitätsberatung und damit die Möglichkeit, während der Ausbildung oder unmittelbar danach berufliche Erfahrungen im Ausland sammeln zu können, helfen dabei, eine Ausbildung im Handwerk attraktiver zu machen. Gleiches gilt natürlich auch für die Betriebe, die sich diesem Angebot offen gegenüber zeigen. Die bisherigen Erfahrungen, die die jungen Menschen im Ausland sammeln konnten, sind ausnahmslos positiv gewesen. Das bestärkt uns darin, an diesem Projekt festzuhalten.

Ihr ganz persönlicher Appell an Menschen, die eine handwerkliche Ausbildung machen wollen oder eine Umschulung in einem Handwerk absolvieren möchten?
Wer eine Ausbildung machen will, sollte direkt auf die Betriebe zugehen oder sich auch an uns als Kammer wenden. Gleiches gilt für das Thema Umschulung. Ich rate aber Schülerinnen und Schüler zunächst zu verschiedenen Praktika. Die richtige Berufswahl ist entscheidend. Das Handwerk bietet unabhängig vom Beruf in jedem Fall eine abwechslungsreiche Ausbildung, in der neben dem Kopf und den Händen auch Kreativität, Können und Teamarbeit gefragt sind. Mit über 130 Ausbildungsberufen zählt es zu den vielfältigsten Wirtschaftsbereichen in Deutschland. Das Spektrum umfasst High-Tech-Berufe ebenso wie solche, in denen künstlerisches Können gefragt ist. Und man schafft nicht selten etwas Sichtbares, worauf man häufig sogar noch Jahre später stolz sein kann. Diese Arbeit und auch das Lob des Kunden schaffen sicher mehr Zufriedenheit als in vielen anderen Berufen, wo man am Ende des Tages nicht sieht, was man geleistet hat. Und man besitzt jederzeit die Möglichkeit, sich im betreffenden Beruf fort- und weiterzubilden, dort Karriere zu machen oder auch in einen anderen Wirtschaftsbereich zu wechseln. Eine handwerkliche Ausbildung schafft viele Freiheiten und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.