Sparsam, kraftvoll, leise - so fahren sich die neuen Hybridfähren

Mit der Fähre ,,Arlau" wurde die E-Wende auf dem Nord-Ostsee-Kanal eingeleitet.

Zwei der neuen Hybridfähren für den Nord-Ostsee-Kanal sind bereits im Betrieb. Das dritte Schiff soll am Anleger Nobiskrug in Rendsburg eingesetzt werden. Wir sind auf der Fähre „Arlau“ in Hohenhörn mitgefahren.

Erntezeit mitten in Schleswig-Holstein. Ein Treckergespann rollt auf die Fähre „Arlau“. Tonnenweise Maissilage wird auf die andere Seite des Nord-Ostsee-Kanals gebracht. Knapp vier Meter hoch türmt sich die Fracht. Trotzdem kann Kapitän Olaf Jöns von oben ohne Mühe in den offenen Anhänger schauen. Ein Blick aus dem verdunkelten Fenster des Ruderhauses reicht. Der Arbeitsplatz des 64-jährigen Schiffsführers liegt so hoch oben, dass er selbst die größten Fahrzeuge deutlich überragt.

VORSICHTIGE BEWEGUNGEN AM JOYSTICK

Olaf Jöns steuert die erste Hybridfähre, die vor einem Jahr auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Betrieb ging. Mit vorsichtigen Bewegungen an einem Joystick manövriert der 64-Jährige das Schiff an die Rampe in Sichtweite des Lokals ,,Kanal 33". Routiniert und zentimetergenau. Der Schrankenbaum öffnet sich, dann gibt der Decksmann dem Fahrer des Treckers ein Handzeichen. Das schwere Gespann rollt im Schritttempo an Land.

Maschinistin Juliana Behring unter Deck der „Arlau": Gegenüber herkömmlichen Fähren verbraucht die neue Technik 40 Prozent weniger Treibstoff. FOTOS: MARCUS DEWANGER
Maschinistin Juliana Behring unter Deck der „Arlau": Gegenüber herkömmlichen Fähren verbraucht die neue Technik 40 Prozent weniger Treibstoff. FOTOS: MARCUS DEWANGER

Für Olaf Jöns bleibt kurz Zeit, die Unterschiede zu den alten Schiffen zu erklären. „Der Fahrstand ist etwa zwei Meter höher als vorher", erklärt der Schiffsführer und deutet zur Fähre ,,Swinemünde", Baujahr 1959. Sie liegt als Reserveschiff am Notanleger in Hohenhörn. Für den Kapitän verändert sich durch die vergleichsweise hohe Position der Blickwinkel, er sieht auch den Anleger und die Menschen an Deck von weiter oben als früher. Nach einem Jahr Betrieb hat Jöns sich daran gewöhnt. „Am Anfang war es ungewohnt. Aber jetzt ist es schön“, sagt er. ,,Die neuen Fähren haben mehr Kraft als die alten.“

Mit der Fähre ,,Arlau" wurde die E-Wende auf dem Kanal eingeleitet. Alle 45-Tonnen-Fähren sollen in den kommenden Jahren durch eine moderne Schiffsgeneration ersetzt werden. Drei Fähren machen den Anfang. Sie werden auf Herz und Nieren langzeitgetestet. „Erst wenn gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wird entschieden, ob die nächsten Fähren genau solche werden", sagt Thomas Fischer, Sprecher des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Nord-Ostsee-Kanal (WSA-NOK). Möglich sei auch, dass bei den weiteren Fähren eine ganz andere Technik zum Einsatz komme.

KOSTEN VON ACHT MILLIONEN EURO PRO FÄHRE

Die ersten drei Schiffe haben jeweils rund acht Millionen Euro gekostet. Die „Arlau" verkehrt am Anleger Hohenhörn, das baugleiche Schwesterschiff ,,Alster" in Hochdonn. Beide sind bereits in Betrieb. Die Kanalfähre ,,Stecknitz" soll in naher Zukunft Rendsburg und Schacht-Audorf miteinander verbinden.

Olaf Jöns an Bord der „Arlau": Der Kapitän steuert die erste Hybridfähre, die vor einem Jahr auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Betrieb ging. Mit vorsichtigen Bewegungen an einem Joystick manövriert der 64-Jährige das Schiff an die Rampe in Sichtweite des Lokals ,,Kanal 33". Routiniert und zentimetergenau.
Olaf Jöns an Bord der „Arlau": Der Kapitän steuert die erste Hybridfähre, die vor einem Jahr auf dem Nord-Ostsee-Kanal in Betrieb ging. Mit vorsichtigen Bewegungen an einem Joystick manövriert der 64-Jährige das Schiff an die Rampe in Sichtweite des Lokals ,,Kanal 33". Routiniert und zentimetergenau.

DER GRÖSSTE UNTERSCHIED BEFINDET SICH UNTER DECK

Auffälligstes äußeres Merkmal der neuen Schiffe sind die Bögen, die beiden Schiffsseiten Stabilität verleihen. Sie ähneln einem Kleiderbügel. Der größte Unterschied aber befindet sich unter Deck. Technisch haben die neuen Schiffe mit ihren Vorgängerinnen so gut wie nichts mehr gemeinsam.

„Wie auf einem Raumschiff“ sei sie sich anfangs vorgekommen, beschreibt Juliana Behring (32) den technischen Quantensprung. Viel Elektronik, viele Überwachungssysteme", das sei schon eine große Umstellung gewesen. Dank einer gründlichen Schulung in mehreren Stufen ist sie nun aber gut gerüstet für das, was für Außenstehende wie ein heilloses Sammelsurium an Rohren, Kabeln, Schaltern, Schläuchen und Leuchten anmutet.

Juliana Behring stellt sich dem Reporter als ,,Fährbetreuerin" vor, was seltsam klingt, irreführend so gar nicht nach Technik. ,,Landgestützte Maschinistin", so ihre amtliche Jobbezeichnung, trifft es schon besser. Denn genau dafür, für die Maschine, ist die Mitarbeiterin des WSANOK zuständig. Sie und ihre Kollegen sorgen dafür, dass der moderne und sparsame Antrieb reibungslos läuft.

VIBRATIONEN SIND KAUM NOCH ZU SPÜREN

Kraftvoll, sparsam, leise - das sind die wichtigsten Vorteile des neuen Systems. „Am lautesten sind heute die Trecker“, verdeutlicht WSA-Sprecher Thomas Fischer. Tatsächlich sind die neuen Hybridfähren deutlich leiser als jene Schiffe, von denen einige bereits seit den Wirtschaftswunderjahren ihren Dauerdienst verrichten. Während die alten Dieselaggregate beim An- und Ablegen brummen und das ganze Schiff vibrieren lassen, bleibt die ,,Arlau" vergleichsweise ruhig. Der Motor klingt insgesamt heller. Vibrationen sind kaum noch zu spüren.

Wobei die Bezeichnung Hybridfähren eigentlich nicht stimmig ist. Bei Hybridautos wechseln Verbrennungs- und Elektromotoren einander fließend ab, und beide sorgen für den Vortrieb. Anders bei den neuen Kanalfähren. Der Diesel-Generator an Bord der ,,Arlau" sorgt nie direkt für den Schub. Zwei Antriebspropeller werden ausschließlich von Elektromotoren bewegt.

Die wiederum beziehen ihre Kraft aus zwei mächtigen Pufferbatterien, die während der Überfahrt über einen Diesel-Generator mit neuester Abgasnorm geladen werden. Nicht ,,Strom statt Diesel", sondern ,,Strom durch Diesel" lautet also das Grundprinzip der neuen Antriebstechnik.

40 PROZENT WENIGER TREIBSTOFFVERBRAUCH

Treibstoffersparnis gegenüber früher: etwa 40 Prozent. Etwa alle zwei Wochen muss die „Arlau" neu betankt werden. 3000 bis 4000 Liter Diesel fließen in zwei Kammern. Mittelfristig soll dieser Verbrauch noch weiter gesenkt werden. Während der Ruhezeiten an den Fährstellen sollen die Batterien mit grünem Landstrom aus dem öffentlichen Stromnetz aufgeladen werden. Noch ist das nicht möglich.

Noch steckt alle Power in den Batterien. Sie sind groß wie Kleiderschränke und in zwei klimatisierten Kammern unter Deck verstaut. Ihre Kapazität beträgt zusammen 474 Kilowattstunden (kWh). Diese Menge entspricht dem, was umgerechnet 13,2 aktuelle VW-E-Golf speichern können (35,8 kWh). Bei der Kanalverwaltung ist man stolz auf die neue Flotte der schwimmenden 45-Tonner. „Wir gehen damit einen Riesenschritt in die Zukunft“, sagt Hans Heinrich Witte, Präsident der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt.

Zumal noch ein weiterer technischer Kniff dafür sorgt, dass die Kanalfähren weniger fossilen Kraftstoff als früher verbrauchen. Die alten Schiffe müssen sich mit Motorkraft an den Anleger drücken. Das entfällt bei der „Arlau“ und den baugleichen Schiffen. Vor jedem Be- und Entladen werden Haken an den Schiffsseiten ausgefahren. Sie halten die Fähre an den Dalben der Landeanlage fest. Dadurch können während der Liegezeit die Antriebe abgeschaltet werden.  Frank Höfer

INFO

Technische Daten:

Länge: 30 Meter
Länge der Fahrbahn: 23,5 Meter
Breite: 9,60 Meter
Zulässige Tragfähigkeit: 45 Tonnen
Maximale Fahrgastzahl: 120
Maximaler Tiefgang: 1,48 Meter
Maximale Geschwindigkeit: 13 km/h