Für eine Prise Platt

Claas Riecken knatterte auf dem Moped quer durchs ganze Land

Ein Griff ins Bücherregal: Das gehört im Nordfriisk Instituut immer dazu. Hier steht auch sein neues Buch über die Musikgeschichte Nordfrieslands. Fotos: Arndt Prenzel

Dr. Claas Riecken arbeitet seit vielen Jahren als Historiker, Lektor, Sprachforscher und Journalist am Nordfriisk Instituut in Bredstedt. Wie kam es dazu, dass der Holsteiner Jung mit ostpreußischen Vorfahren Gefallen an Platt und Friesisch fand? Der Wissenschaftler hat das Geheimnis jetzt gelüftet. „Ich stamme aus einer Flüchtlingsfamilie“, sagt der gebürtige Holsteiner. Seine Mutter habe in der Nähe von Trittau Fuß gefasst, dort sei er auch aufgewachsen. „Ihre Schwester jedoch", hebt Riecken mit bedeutungsvollem Blick hervor, ,,heiratete einen Eiderstedter Bauern. Und so kam ich des Öfteren zu ihnen auf den Hof zu Besuch, wo eine wunderschöne Atmosphäre herrschte."

Auch der Onkel sprach ganz selbstverständlich Plattdeutsch

Bei Onkel und Tante verspürte der Knabe ein echtes ,,Heimatgefühl“. Ein Heimatgefühl, wie er es auch bei seinen ostpreußischen Großeltern nachempfunden hat. Der Sound des Plattdeutschen infizierte ihn früh. ,,Mit 15 Jahren war meine Liebe entbrannt!" Zumal auch der Onkel ganz selbstverständlich Plattdeutsch sprach. „Da war nichts Peinliches. Das lag daran, dass mein Onkel zu den alten Eiderstedter Bauernfamilien gehörte. Das ist dort fast so etwas wie anderswo der Landadel zählte. Und genauso fühlte er sich auch."

Der junge Claas sah hier „Liberalität und Größe" vereint. Der nächste Funke sprang von einer Schallplatte auf ihn über. Per Zufall hörte er die Langspielplatte ,,Leder von min Fresenhof" von Knut Kiesewetter. ,,Da war es um mich geschehen." Er arbeitete sich autodidaktisch über Bücher wie ,,Dat swatte Peerd" ins Platt hinein, hörte vom Nordfriisk Instituut in Bredstedt und raste mit seinem Moped dorthin. ,,Niemand wunderte sich über mich, denn auch andere komische Leute klingelten da an der Tür."

Amt Mittleres Nordfriesland
Amt Mittleres Nordfriesland

Das Glück wollte es, dass Tams Jörgensen, ein der Jugend aufgeschlossen gegenüberstehender Wissenschaftler, ihm öffnete und sofort zum Gespräch einlud. ,,Da war nichts Rückwärtsgewandtes, nichts von „Früher war alles besser." Gleichgesinnte, dem Friesentum verbundene junge Leute wie Thomas Steensen oder Peter Nissen kamen dort zu Gruppensitzungen. Es ging um ,,Identität“ in der Region und manches mehr.

Claas Riecken schloss sich diesem ,,wilden Haufen" gern an und stellte für sich fest: ,,Nach dem Abitur beziehungsweise Studium will ich dort arbeiten." So geschah es auch. Doch zuvor lernte der Sprachenfan ,,Frasch" von der Pike auf. Tatsächlich half hier besonders eine Art ,,Urlaub in der Familie" in Risum-Lindholm bei Alfred Boysen. „Mit dem Sohn Thede fuhr ich Rad und lernte nebenbei das Ostermooringer Friesisch."

Im Jahr 2014 war es dann endlich soweit. Nach erfolgreicher Dissertation und freier Tätigkeit als Journalist und Wissenschaftler erfolgte die Anstellung im Nordfriisk Instituut. In zahlreichen Schriften und Aufsätzen hat sich Dr. Claas Riecken einen Namen gemacht, ist Redakteur einer Vierteljahresschrift. Ein Ende ist nicht in Sicht: In der Sprachforschung gibt es immer wieder neue Entdeckungen.

,,Nordfriesische Geschichte in Liedern, Bd.1“ ist sein letzter „Hit“. Fast ein Jahr hat der Historiker an diesem Buch gearbeitet, mit Zeitzeugen gesprochen, Archive besucht und aus der Fülle möglicher Themen ausgewählt, um diesen ersten Teil einer „Liedergeschichte“ zu schreiben. 23 Lieder, die für die Geschichte und Kultur der Nordfriesen ab 1945 eine Rolle gespielt haben oder exemplarisch für bestimmte Stile und Vorlieben stehen, entfalten ein Panorama an nordfriesischer Geschichte aus den letzten knapp acht Jahrzehnten. Weitere Bände sollen folgen.

„Friese” steht gleichbedeutend für Liberalität

Sich selbst sieht der Mann aus Rausdorf inzwischen auch als „Friese", weil er sich Land und Leuten verbunden fühlt, aber auch sich selbst als „zuständig" sieht. Und „Friese“ steht dabei gleichbedeutend für Liberalität, so wie einst beim Onkel, für „Weite und Größe“ der Gedankenwelt.  Arndt Prenzel