Das Pilzjahr 2022 startete zunächst einmal verhalten. Grund: Die Böden waren zu trocken und die Nächte zu warm. Seit die Tiefsttemperaturen Mitte September allerdings unter zehn Grad Celsius gefallen sind und es regnet, können Sammler wieder reiche Beute machen.
Das Laub raschelt, unter den festen Schuhen knacken die Äste. Mit einem Küchenmesser in der Hand und einem Weidenkorb unter dem Arm geht es in das Elsdorfer Gehege. „Das hier ist ein tiefer Mischwald mit viel Feuchtigkeit, ein ideales Gebiet", befindet Sönke Lettau. Lettau ist einer der führenden Mykologen zwischen Nord- und Ostsee. Die Mykologie ist die Wissenschaft von den Pilzen, Lettau ein echter Pilzexperte. Und er ist der ideale Begleiter für jeden Menschen, der sich näher mit Marone, Pfifferling und Krauser Glucke beschäftigen möchte.
PILZE AUS DEM WALD - EIN ECHTES BIO-ESSEN
Dabei packt das „Pilzfieber” immer mehr die junge Generation. „Das ist in den letzten Jahren deutlich spürbar. Sicherlich weil die Menschen die Natur wiederentdecken und weil Pilze aus dem Wald echtes Bio-Essen sind", sagt Lettau. Er empfiehlt Neulingen unter den Sammlern auch, zunächst eine geführte Wanderung zu machen. Apps und Bücher zur Bestimmung findet er hingegen nur bedingt sinnvoll. Wobei nur eine Wanderung noch keinen Pilzexperten macht. Denn die Pilzwelt ist vielfältig und dieselbe Art kann manchmal ganz verschieden aussehen. Der geübte Sammler erkennt trotzdem die wichtigen Merkmale - und kann so den schmackhaften Speisepilz vom giftigen Doppelgänger unterscheiden.
Auf einem alten Buchenstubben weckt ein eher unscheinbarer Vertreter aus dem Reich der ,,Fungi" das Interesse. Der Knoblauchschwindling verströmt den Duft der namensgebenden Knolle. In Frankreich ist der Würzpilz äußerst begehrt und wird in getrockneter Form zu Pulver verarbeitet. Das wiederum findet in Suppen und Soßen und vielen anderen Gerichten Verwendung. Einen besonderen Pfiff gibt der Knoblauchschwindling auch jeder Pilzpfanne. Und die muss nicht nur aus Steinpilzen bestehen. Je größer das Wissen über die Pilze, desto bunter wird die Pfanne.Ein fundiertes Wissen ist auch deshalb von Vorteil, da nicht jedes Pilzjahr gleich ist. In einem gibt es beispielsweise viele Röhrlinge wie Marone oder Steinpilz, im nächsten fehlen sie fast komplett.
WÄSSRIGER SAUMPILZ UND TOTENTROMPETE
In einem guten Pilzwald ist während der Saison aber eigentlich immer eine gute Auswahl an Speisepilzen zu finden. Nach und nach wandern an diesem Tag der Gemeine Waldfreundrübling, der Rehbraune Dachpilz und der Wässrige Saumpilz in den Korb. Auch wenn die Namen es nicht durchweg vermuten lassen: Sie schmecken hervorragend. Das gilt auch für die dunkelgraue Totentrompete, eine Verwandte der Pfifferlinge, die gefahrlos genossen werden kann. Zu finden ist der Mykorrhizapilz hauptsächlich in der Nähe von Rotbuchen, aber auch an Eichen und Hainbuchen. Mykorrhiza bedeutet, dass der Pilz eine Gemeinschaft mit einer bestimmten Pflanze lebt. ,,Für das Finden und Bestimmen von Pilzen ist es wertvoll, ihre Habitate, also die Lebensräume zu kennen“, weiß der Pilzexperte. Bei dieser Gemeinschaft, Symbiose genannt, profitieren beide Seiten. Die Pilze können ihre Energie aus den Bäumen holen, im Gegenzug geben die Pilze unter anderem Phosphat oder Stickstoff an die Bäume ab, das sie aus dem Boden aufgenommen haben.
PILZE SAMMELN, ABER NICHT SCHÄDIGEN
Wichtig ist Lettau, dass auch der Mensch die Pilze nicht schädigt. Das Pflücken der Fruchtkörper (die in der Umgangssprache „Pilz" genannt werden) ist in Ordnung, das Mycel (also die fadenförmigen, feinen Zellen unter der Erde) sollte hingegen möglichst unbeschädigt bleiben. Mit einem Messer ist das kein Problem.
Die Ausbeute des Spaziergangs kann sich am Ende sehen lassen. Wer den Geschmack des Waldes länger konservieren will, kann Pilze bei 50 Grad und leicht geöffneter Klappe im Backofen trocknen. Am besten schmecken die gesammelten Schätze allerdings frisch zubereitet, findet Sönke Lettau. Matthias Hermann