Warum in dieser Wirtschaftskrise auch eine Chance liegt

Inflation, Zinsen, Häuslebau-Bankvorstände im Interview

Die Vorstände Georg Schäfer und Karsten Petersen (rechts) sehen die Wirtschaft vor großen Herausforderungen. Zudem erwarten sie weitere Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank. FOTO: MARCUS DEWANGER

Deutschland steht vor einer Rezession. Im Interview skizzieren Georg Schäfer und Karsten Petersen, Vorstände der VR Bank Schleswig-Mittelholstein, schonungslos die Lage. Aber sie sehen auch Anzeichen, die vorsichtig optimistisch stimmen. Interview: Dirk Jennert

Herr Schäfer, Herr Petersen, der Spiegel skizzierte vor kurzem ein Schreckensszenario für die deutsche Wirtschaft - eine schwere Rezession mit hoher Inflation. Wird es wirklich so schlimm kommen? Oder können Sie unseren Leserinnen und Lesern ein Stück weit die Angst vor der Zukunft nehmen?

Georg Schäfer: Man kann es vielleicht mit folgendem Bild beschreiben: Sie stehen am Strand, und das Wasser zieht sich zurück. Wir haben alle schmerzlichst gelernt, dass wenn sich das Wasser zurückzieht, womöglich ein Tsunami bevorsteht. Das Wasser in Deutschland zieht sich deutlich zurück, aber wie hoch die Welle über uns hinwegfegen wird, wissen wir nicht. Welche Schäden sie in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in den privaten Haushalten hinterlassen wird, wissen wir nicht. Von was ich aber überzeugt bin, dass eine Welle kommen wird, und wir müssen uns bestmöglich darauf vorbereiten.

Karsten Petersen: Ich würde nach wie vor keine Angst vor der Zukunft haben. Wir sind ein großes, ein bedeutendes, ein reiches Land in Europa und haben schon viele Krisen und Herausforderungen bewältigt. Man denke hier nur an die über zwei Jahre anhaltende Corona-Pandemie. Aber auch wir „Bänker“ denken an die Zeiten der Lehman-Pleite zurück, in der unser damaliger Finanzminister Peer Steinbrück, aber auch unsere Kanzlerin in die Fernsehkameras sagten: ,,Die Spareinlagen der Deutschen sind sicher." Aber diese Krise, diese Herausforderung, ich nenne sie ,,Energiepreiskrise" hat schon ein enormes Gewicht für unsere Wirtschaft, für unseren Mittelstand und für die privaten Haushalte, sprich für die gesamte Gesellschaft.

Die Bank wird aus zwei Verwaltungszentren in Osterrönfeld und Schleswig geführt. Hier das Verwaltungsgebäude in Osterrönfeld. FOTO: RATZKE
Die Bank wird aus zwei Verwaltungszentren in Osterrönfeld und Schleswig geführt. Hier das Verwaltungsgebäude in Osterrönfeld. FOTO: RATZKE

Die Wirtschaft in Schleswig-Holstein war immer ein Stück weit abgekoppelt vom Rest der Republik. Die Ausschläge bei uns waren nie so stark. Wie ist es aktuell?

Schäfer: Nach unserer Einschätzung geht es der Wirtschaft, dem Mittelstand, der Landwirtschaft derzeit noch gut. Der Mittelstand, als Rückgrat unserer Region, hatte bisher sehr volle bis übervolle Auftragsbücher. Es wird in fast jedem Betrieb nicht nur nach Fachpersonal, sondern nach Personal im Allgemeinen gesucht. Wir hören aus der Wirtschaft unserer Region, dass die Nachfrage aber deutlich zurückgeht. Dass viele mittelständische Betriebe noch bis Oktober/November fast ausgebucht sind, darüber hinaus jedoch schon absehbar ist, dass Nachfolgeaufträge fehlen. Viele geplante Investitionen werden nicht gänzlich abgesagt, aber wie man so schön sagt, „auf Eis gelegt oder zurückgestellt". Es liegt auch nicht immer daran, dass das Geld fehlt, sondern man will erstmal abwarten und schauen, was auf die Familie, was auf den Betrieb, was auf jeden Einzelnen noch an Belastungen zukommt und verschiebt somit alles erstmal ins nächste Jahr. Aktuell sind aber auch die enorm gestiegenen Energiekosten für den Mittelstand nicht zu vergessen, diese können meist nicht direkt an den Verbraucher weitergegeben werden. Inwieweit der Staat hier helfen kann, bleibt abzuwarten.

Was sind die Stärken der Firmen bei uns am NOK?

Schäfer: Wir sind eine wirtschaftlich sehr starke Region in der Mitte Schleswig-Holsteins. Unsere mittelständischen Unternehmen verfügen über sehr gute Beziehungen in die Metropolregionen Hamburg, Kiel, aber auch in die umliegenden Kreise. Unsere Region hat weiterhin eine hohe Kaufkraft, die Arbeitslosenzahlen sind durchaus gering, und ich denke mir, dass das Hauptargument ist, dass die Wirtschaft am NOK durch viele unterschiedliche kleinere und mittlere mittelständische Unternehmen aus diversen Branchen getragen wird.

Viele Menschen erleben derzeit, dass sie für ihr Geld weniger einkaufen können. Die Inflation frisst Teile des Einkommens auf. Aber steigende Löhne können sich die Unternehmen in absehbarer Zeit offenbar nicht leisten. Ein Teufelskreis?

Petersen: Ja, das ist es. Bis zum Ende des Jahres steuern wir auf eine Inflation von annähernd zehn Prozent hin. Möglicherweise werden wir diese Marke noch übersteigen. Es gibt erste optimistische Prognosen aber erst für das Jahr 2024. Diese gehen davon aus, dass die Inflation erst dann deutlich zurückgehen wird. Was somit für die nächsten Monate zu befürchten ist, dass der Konsum zurückgefahren wird und Investitionen nicht getätigt bzw. verschoben werden.

Schäfer: Somit fehlen dem Mittelstand in unserer Region und bundesweit die Einnahmequellen. Diese sind aber die Grundlagen um ein Unternehmen aufrecht zu erhalten und Löhne zu bezahlen. Aber Deutschland verfügt über den Mechanismus „Kurzarbeit“. Dies ist ein Werkzeug, dass auch schon in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten, sprich auch in Coronazeiten, ein wichtiges Werkzeug war. Es hat dafür gesorgt, dass ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden musste und somit die Grundversorgung aufrecht gehalten worden ist. Aus den Gesprächen mit den Firmen wissen wir, dass jeder Firmenchef versuchen wird, seine Beschäftigten unbedingt zu halten. Denn jeder weiß auch, wie schwierig es ist, eine freie Stelle zu besetzen. Wir sprechen in Deutschland immer vom Fachkräftemangel. Tatsächlich haben wir einen Arbeitskräftemangel.

Würden Sie den Menschen raten, ihr Geld zusammenzuhalten? Oder ist das kontraproduktiv?

Petersen: Unsere Wirtschaft lebt vom Konsum, lebt von Investitionen, lebt von betrieblichen Investitionen, lebt von privaten Investitionen, lebt vom Verbrauch von diversen Gütern unserer Bevölkerung. Natürlich ist das ein Teufelskreis, aber wir können durchaus verstehen, wenn Familien oder Betriebe zusammensitzen und darüber nachdenken, welche Investitionen, welche Ausgaben wirklich sinnvoll sind. Dies ist in der derzeitigen Situation nicht außergewöhnlich. Ich würde sogar sagen, dies ist ,,menschlich".

Welche Rolle spielt die Psychologie bei Themen wie Inflation und Rezession?

Schäfer: Mancher Leser kann sich sicherlich noch an den 1999 verstorbenen Börsenguru und Journalisten André Kostolany erinnern. Er galt als der Börsenexperte seiner Zeit. Er hat in vielen Büchern das Thema Psychologie, Börse und Wirtschaft beschrieben. Ich ahne, was Kostolany heute im Hinblick auf die Börse sagen würde: Kaufen“ und dies erst recht in schlechten Zeiten, berühmt ist sein Zitat: ,,Kaufen wenn die Kanonen donnern". Er würde zudem sagen: ,,Weiter kaufen", auch wenn die Zeiten noch schlechter werden. ""

Petersen: Und klar ist: Die Weltwirtschaft wird sich in absehbarer Zeit erholen. Ich gehe von einem sogenannten „Nachkriegsaufschwung" aus, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit aufgrund der globalisierten Märkte. Die Ukraine wird wieder aufgebaut. Aber wegen der Nähe zu Putin garantiert nicht durch China und Indien, sondern durch ,,Kerneuropa" und hier sicherlich schwerpunktmäßig durch Deutschland. Dies wird uns einen Aufschwung bescheren.

Herr Schäfer, in einem Interview vor einem Vierteljahr haben Sie Zinssätze von 3,5 Prozent und mehr prognostiziert. Jetzt haben wir genau diese Werte erreicht. Wie sieht Ihre Prognose für die kommenden sechs Monate aus?

Schäfer: Die 3,5 Prozent habe ich im Zusammenhang mit einer zehnjährigen Zinsbindung im Baufinanzierungsbereich genannt. Ja, es ist richtig, da liegen wir ungefähr. Hinzu kommt eine Tilgung von zwei Prozent. Angesichts der Inflation wird die Europäische Zentralbank (EZB) handeln müssen. Ich gehe fest von weiteren Zinsschritten aus. Ich rechne noch bis ins nächste Jahr hinein mit Zinsschritten der EZB von 0,75 bis 1,0 Prozent. Je nach Entwicklung der Krisen der Welt, vorrangig der Ukraine-Krise, kann sich die Situation auch weiter verschärfen.

Wenn die Zinsen steigen, verdienen die Banken wieder Geld. Das dürfte doch zumindest aus unternehmerischer Sicht für die Banken erfreulich sein. Wie beurteilen Sie das?

Petersen: In der Tat freuen wir uns über die Zinswende. Ein höheres Zinsniveau ist positiv für uns Banken, da wir dann eine auskömmlichere Marge bei den Krediten verdienen und bald auch wieder eine Marge bei den Einlagen unserer Kunden erzielen können. Den Negativzins haben wir ja nur durchgereicht, ohne etwas daran zu verdienen. Die Zinswende hat allerdings im aktuellen Geschäftsjahr auch negative Auswirkungen auf unsere Ertragslage. Das ist darin begründet, dass die festverzinslichen Wertpapiere, in die wir Teile der Kundengelder investiert haben, durch den Zinsanstieg zunächst an Wert verlieren.

Und dieser vorübergehende Wertverlust ist umso höher je schneller und stärker die Zinsen steigen. Insofern gehen wir in diesem Jahr von einer deutlichen Ergebnisbelastung aus. Für die Folgejahre sollten dann bessere Ergebnisse erreichbar sein.

Wie sind Sie als Bank derzeit gefordert?

Petersen: Der schnelle Zinsanstieg fordert eine angemessene Reaktion bei den Wertpapieranlagen der Bank. Gleichzeitig haben wir die Negativzinsen im Gleich klang mit der EZB für unsere Kunden abgeschafft. Hier spüren wir zunehmend auch eine Erwartung unserer Kunden, die Einlagen wieder zu verzinsen. Die größte Herausforderung sehen wir jedoch in unserem Kreditgeschäft. Hier gilt es zu beobachten und zu bewerten, wie die konjunkturelle Entwicklung sich auf die wirtschaftliche Stabilität unserer Kreditnehmer auswirkt.Hier stehen wir unseren Kunden zur Seite.

Wie können die Banken dazu beitragen, die wirtschaftliche Lage zu stabilisieren?

Schäfer: Auf jeden Fall ist es sinnvoll, dass private, gewerbliche und landwirtschaftliche Kunden mit ihrer Bank im Austausch bleiben, sie frühzeitig in anstehende Investitionsentscheidungen einbeziehen. Wir als Regionalbank haben einen riesigen Vorteil. Wir kennen unsere Kunden seit Jahren, viele sogar seit Jahrzenten. Wir werden alles, aber auch alles dafür tun, ihnen in diesen sicherlich schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen.

Die Baubranche erlebt derzeit nach mehreren Boom-Jahren in Folge, dass die Zahl der Aufträge stark zurückgeht. Reservierte Baugrundstücke werden den Gemeinden zurückgegeben. Macht der Bau von Einfamilienhäusern derzeit Sinn- oder sollte man warten?

Schäfer: Es ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit im Handwerk und in Bauunternehmen wieder Kapazitäten frei werden. Ich gehe davon aus, dass Rohstoffe und Baustoffe wegen einer sinkenden Nachfrage wieder günstiger werden – und auch wieder besser verfügbar sind. Das führt in den nächsten Monaten dazu, dass Rahmenbedingungen für Investitionen wieder besser kalkulierbar sind. Die Firmen haben gelernt, dass die „Just-intime“-Lieferung vom Werk an die Baustelle anfällig für Störungen ist. Jetzt wird wieder verstärkt Lagerhaltung betrieben. Eines ist sicher, die Nachfrage nach Wohnraum in unserer Region ist weiterhin sehr hoch und wird sehr hoch bleiben.

Petersen: Der Erwerb eines Einfamilienhauses ist sicherlich eine der bedeutendsten Investitionen im Leben. Wir erleben und hören, dass viele unserer Kunden sich derzeit nicht trauen, eine solche Investition einzugehen. Dies ist verständlich und nachvollziehbar, da auch die Kalkulation der Gesamtkosten einer Investition, eines Bauvorhabens, für uns die Grundlage einer Finanzierung darstellt. Es ist derzeit für viele sehr schwierig, eine verlässliche Kalkulation für ihr Bauvorhaben zu bekommen. Es gibt jedoch nach wie vor Bauvorhaben, Stichwort Wohnungsbau, Reihenhäuser etc., die weiterhin zu Festpreisen angeboten werden. Auch hier lohnt es sich, sich ein wenig umzuschauen.

DIE VR-BANK SCHLESWIG-MITTELHOLSTEIN EG

Der älteste Zweig der VR-Bank Schleswig-Mittelholstein ist weit über 100 Jahre alt. Der Sitz ist Osterrönfeld. Das Geldinstitut hat 27.328 Mitglieder. Der dreiköpfige Vorstand besteht aus Karsten Petersen - Produktion (Marktfolge Kredit, Marktfolge Passiv) und Personal; Georg Schäfer - Vertrieb (Firmen- und Privatkunden, Private Banking), Unternehmensentwicklung, Vertriebsmanagement und Immobilienunternehmen sowie Holger Siem - Steuerung (Finanzen, Organisation, IT, Interne Revision). Die Bank beschäftigt 298 Menschen, davon 23 Auszubildende. In der Region von Kappeln im Norden bis Aukrug im Süden gibt es 13 Beratungsfilialen und 21 Selbstbedienungs-Filialen. Verwaltungszentren befinden sich in Schleswig und Osterrönfeld. Die wichtigen Geschäftsdaten zum 31. Dezember 2021: Die Bilanzsumme lag bei 1,713 Milliarden Euro, die Kundeneinlagen betrugen 1,237 Milliarden Euro. Ausgegebene Kredite: 1,033 Milliarden Euro.