Immer im Einsatz aber ohne Fahrplan

Die Fährleute auf dem Nord-Ostsee-Kanal sind Tag und Nacht im Einsatz. Um Passagiere sicher von einem Ufer zum anderen befördern zu können, haben sie einige Herausforderungen zu meistern.

Ein Frachter passiert die NOK-Fähre „STRALSUND" bei Breiholz. FOTOS: PEER SCHMIDT-WALTHER

„Oh, wir haben hohen Besuch heute“, strahlt der junge Mann übers ganze Gesicht, als er das Autokennzeichen HST (für die Hansestadt Stralsund) entdeckt, „das kommt hier auch nicht so oft vor!“ Anerkennend reckt er dazu seine beiden Daumen in die Höhe. Wenn man sein Auto am anderen Ufer abgestellt hat, wird man von ihm dazu eingeladen, ein paar Runden mitzufahren und dabei auch noch große Schiffe auf Meterabstand passieren zu sehen.

Daniel Schoer, so stellt er sich vor, sei hier Decksmann an Bord der „Stralsund“, eine von 14 Fähren, die die Landesteile verbinden. Überall, wo eine Straße und keine Brücke vorhanden sei, übernimmt eine der kostenlosen Fähren den Sprung über den „Graben“, wie der rund 100 Kilometer lange und 127 Jahre alte Nord-Ostsee-Kanal im Seemannsjargon heißt oder mit seinem Kürzel NOK. International nennt man die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt nur kurz „Kiel Canal“. Sie wird von rund 30.000 Schiffen aller Art pro Jahr genutzt. Das erspart einen 450 Kilometer oder 242 Seemeilen langen, oft stürmischen Umweg über Kap Skagen, die nördliche Spitze Dänemarks. Die Kanal-Befahrungsabgaben sind niedriger als die Spritkosten für den Umweg. Außerdem kommt heutzutage als unschätzbarer Vorteil die Zeitersparnis hinzu.

UP EWIG UNGEDEELT GILT IMMER NOCH

Noch fahre er als „Springer“, so Daniel Schoer, „ich vertrete den Stamm-Decksmann, wenn er mal krank ist oder sonst verhindert“. Der Job macht ihm sichtlich Spaß, so wie er seine Passagiere behandelt: immer mit einem freundlichen „Moin!“, Lachen und Winken – „das macht mich glücklich!“ -, als wären sie alle alte Bekannte. „Viele sind es auch“, sagt er, „die fahren morgens zur Arbeit oder kommen abends von dort. Auch Bauern, deren Äcker durch den Kanal geteilt sind“.

Dazu ein kurzer historischer Blick zurück, scheint doch die Teilung durch den Kanal, ganz im Gegensatz zum heutigen Wahlspruch des Landes Schleswig-Holstein zu stehen: „Up ewig ungedeelt“ (hochdeutsch: auf ewig ungeteilt). Das ist seit 1844 staatlich gemeint, nachdem die Ständeversammlung die Einheit gefordert hatte, die schließlich zum Landesrecht wurde. Die 14 NOK-Arbeitspferde sorgen unermüdlich dafür, dass es so bleibt. Darunter auch die Schwester-Fähre „Pillau“ im zweigeteilten Dorf Sehestedt – ein Kuriosum - beim Kanalkilometer 75,5. Sie alle werden privat bereedert, aber technisch betreut von der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) des Bundes.

Wenn sie alle in 24 Stunden rund 200-mal emsig hin und her wieseln und dabei bis zu 1000 Fahrzeuge und hunderte Menschen transportieren, verschweißen sie nicht nur die beiden Ufer wie durch eine feste Naht, sondern erfüllen auch den Wahlspruch ihrer Heimat. Lucie Knudsen, die sich um das beliebte „Kanalforsthaus“ mit ihren vier Ferienwohnungen direkt am schönsten Abschnitt des Kanals – ideal zum Schiffe gucken und fotografieren – kümmert, wohnt im Norden, hat ihr Büro aber im Süden: „Zu Anfang war das Warten manchmal nervig“, erinnert sie sich, „heute habe ich mich dran gewöhnt“. Andere müssen sogar zum Brötchenholen morgens die Fähre nehmen, um zum „Dorfshop“ zu kommen, weiß sie.

WIE IN EINER BADEWANNE

„Stralsund“-Kapitän Krzysztof Literski und sein Bootsmann Daniel Schoer geben im Drei-Schicht-Betrieb ihr Bestes für die Landeseinheit. „Nur um 2.30 Uhr ist mal Pause“, erklärt Schoer, „dann müssen die beiden Maschinen gewartet werden“. Gefahren werde nach Bedarf, nicht nach Fahrplan. Die Strömung im Kanal ist nicht zu unterschätzen, aber allgemein kein größeres Problem. Bei starkem Wind gebe es schon mal Wasserstandsschwankungen „wie in einer Badewanne“. Dann werde die Fährklappe zum Problem: „Wenn sie zu hoch und zu niedrig ist, kann kein Fahrzeug drüber fahren“.

Die Erklärung leuchtet ein. Der Kapitän wendet sich im hoch liegenden Steuerhaus über dem mit acht Autos vollgestellten Fährdeck wieder seiner Steuerung zu, denn er muss den Anleger mit seinen weißen Fahrbahmarkierungen passgenau treffen. Bei pottendickem Nebel, dem größten Feind im Kanal, sei das schwierig. „Wir fahren bei fast jedem Wetter“, meint Schoer nicht ohne Stolz, „egal ob´s regnet oder schneit“. Der gelernte Staplerfahrer wolle das Patent A 500 machen – „wenn ein Kollege in Ruhestand geht und ich mein Patent in der Tasche habe, rücke ich nach“. Wie einst sein Kapitän, der als Elektroniker aus Polen kam, sechs Jahre lang auf Schnellbooten der Deutschen Marine fuhr, es bis zum Obermaat brachte und schließlich hier sein ziviles berufliches Glück fand. „Wie auch Kapitäne mit großem Patent bei uns, die lieber ein geregeltes Familienleben haben wollten, als monatelang zur See zu fahren“, weiß er von den Kollegen, „Schiffe sehen wir hier genug“.

"Wenn ein Kollege in Ruhestand geht und ich mein Patent in der Tasche habe, rücke ich nach."
Daniel Schoer, Bootsmann

ARBEITSPLÄTZE BLEIBEN ERHALTEN

Kapitän Krzysztof Literski konzentriert am Ruder der NOK-Fähre.

Manchmal helfen die Fähren auch, wenn an Bord ein Kranker ist, der nur per Fähre, auf der ein Krankenwagen steht, abgeholt werden könne, denn für Seeschiffe gibt es keine Anlegestellen im Kanal. Während er das erzählt, springt ein großer Laster nicht gleich an. Was er denn mache, wenn´s gar nicht klappt? „Dann drehen wir einfach, fahren zur anderen Seite und warten auf den Abschleppdienst“, lautet die verblüffende Antwort, „dann kann der Wagen vorwärts an Land gezogen werden“. Bei schweren Fahrzeugen fragt Schoer den Fahrer vorher nach dem Gesamtgewicht. „Wegen der richtigen Gewichtsverteilung“, erklärt er, „muss der genau in der Mitte stehen, sonst kriegen wir Schlagseite. Insgesamt sind 45 Tonnen Gewicht zugelassen.“

Vier Arbeitsschritte sind notwendig, damit die „Stralsund“ übersetzen kann: vom Einhaken der Sicherung über das Runterlassen der Bordschranke bis zum Sicherheits-„Tüddelband“ (eine Leine mit roten Wimpeln zum Abstandhalten) und dem Schließen der Lichtschranke an Land. „Der Versuch“, hört man von Literski, „den Ein-Mann-Betrieb einzuführen, ist aufgegeben worden. „Stralsund“ war das Pilotschiff dafür und ich der „Versuchs-Kapitän“. Decksmann Schoer ist zufrieden, denn so bleiben auch alle Arbeitsplätze erhalten. Das gilt auch für die drei in Estland entstandenen Neubauten, 30 Meter lange Hybrid-Fähren, die weniger Brennstoff verbrauchen und geringere Schadstoffmengen emittieren. Peer Schmidt-Walther

INFO


V/S Fähre „Stralsund“

Bauwerft: Staatswerft Saatsee, Rendsburg; Baujahr: 1960; Länge: 29 m; Breite: 9 m; Tiefgang: 1,35 m; Zuladung: 45 t (auf 132 qm Fläche); Zuladung (max.): 8 PKW, LKW nach Gewicht und Länge; Passagiere: 116; Antrieb: 2 x (getriebelose)

Voith-Schneider (daher /V7S), Leistung: 172 kW; Geschwindigkeit (max.): 6,4 kn; Besatzung: 2 Mann; Bereederung: Adler-Schiffe Westerland (Ausschreibung alle 4-5 Jahre); Eigner: WSV Bund; Einsatzort: Breiholz/NOK westl. Rendsburg