Mit dem Fahrrad Schiffe überholen

Unsere Autorin Julia Weilnböck unterwegs am Nord-Ostsee-Kanal: Über die Wirtschaftswege, die über weite Strecken unmittelbar am Kanalufer verlaufen, gelangen die Beschäftigten der Kanalverwaltung zu ihren Einsatzorten, zum Beispiel für die Pflege der Uferbefestigung. Die Wege dürfen von Spaziergängern und Radfahrern genutzt werden. Im Hintergrund: die Levensauer Hochbrücke. FOTO: MATTHIAS HERMANN

Immer geradeaus, links das Wasser, rechts Wälder, Seen, Güter, Städte. Mit dem Fahrrad erkundete unsere Autorin Julia Weilnböck eine 50-Kilometer-Strecke am Kanal. Von Rendsburg bis zum Tiessenkai in Kiel-Holtenau. Eine Tour mit unverhofften Begegnungen, Irrfahrten und leckeren Rastpausen.

Mit einem kleinen Ruck löst sich die Rendsburger Schwebefähre vom sicheren Ufer, dann gleitet sie über dem Wasser. Das Gefühl ist unstet. Zugleich bewegen wir uns auf sehr geradem Weg über den Wellen. Das Andocken dauert eine kleine Ewigkeit, ebenso das Warten auf die grüne Ampel, die die Fußgänger getrost ignorieren.

Endlich geht es los, ich schwinge mich auf mein Rad, und biege auf die so charakteristische Spurplattenbahn der Kanalbetriebswege. Mit der Kurve erfasst mich der steife Wind aus Westen, ein paar Tritte in die Pedale, und ich fliege dahin.

KILOMETER 7,8 – 13:30 UHR

Nachdem ich die Lürssen-Werft passiert habe, stehe ich vor einer ersten Routen-Entscheidung. Das Navi empfiehlt, rechts abzubiegen, auf eine gut befestigte Straße. Geradeaus lockt ein kleiner Pfad, der sich in grünem Dickicht verliert, aber verspricht, zum Kanal zu führen.

Ich stoße mich ab und ignoriere das Klimpern des Navis, das erkennt, dass ich ihm nicht mehr folge. Vertrau mir, Navi, denke ich, als ich über den unbefestigten Weg holpere, der immer schmaler wird. Hohes Gras streift meine Speichen, niedrige Äste meine Schultern, eine Kurve, eine Abfahrt, dann sehe ich das Blau des Kanals.

KILOMETER 10,6 – 13:55 UHR

Schneller als erwartet, erreiche ich die erste Rast, Brauers Aalkate in Rade. Die Terrasse mit Blick auf den Kanal ist bereits mit einer Motorradgruppe gut gefüllt. Ich bestelle ein Fischbrötchen mit geräucherter Forelle und erhalte wenig später ein Fischbrötchen, doch ob es sich um Forelle handelt, wage ich aufgrund der Optik zu bezweifeln. Es schmeckt ungewohnt, aber sehr gut. Die Rechnung bestätigt meinen Verdacht: Mein erster geräucherter Aal.

KILOMETER 13,8 – 14:30 UHR

Das Dessert zu meinem überraschenden Fischgenuss wartet nur drei Kilometer und 15 Minuten weiter. Der Pfad hoch zum Gut Steinwehr ist schnell übersehen und am besten geschoben, doch der Aufstieg lohnt sich. Im Schatten von Kastanienbäumen esse ich ein Stück Erdbeerkuchen, umgeben von anderen Radfahrern, Rentnern und Familien. Frisch gestärkt geht es weiter zu kleinen Buchten mit Sitzplätzen direkt am Wasser, verzauberten Mooren, Schilfgras und wiegenden Weiden.  Das Dessert zu meinem überraschenden Fischgenuss wartet nur drei Kilometer und 15 Minuten weiter. Der Pfad hoch zum Gut Steinwehr ist schnell übersehen und am besten geschoben, doch der Aufstieg lohnt sich. Im Schatten von Kastanienbäumen esse ich ein Stück Erdbeerkuchen, umgeben von anderen Radfahrern, Rentnern und Familien. Frisch gestärkt geht es weiter zu kleinen Buchten mit Sitzplätzen direkt am Wasser, verzauberten Mooren, Schilfgras und wiegenden Weiden. 

KILOMETER 26,8 – 16:00 UHR

Die Halbzeit ist erreicht an der Mündung des Flemhuder Sees in den Kanal. Während ich ein zweites Fischbrötchen esse, müssen mehrere Schiffe im Kanal aneinander vorbei ziehen, bevor es in die engere Bahn in Richtung Rendsburg geht. Einen der Stahlriesen habe ich erst vor zwanzig Minuten überholt.

Nun steht ein größeres Navigationsstück bevor, denn ich muss den Flemhuder See umrunden und den Ringkanal queren. Über Feldwege, kleine Pfade und holprige Wiesen mache ich mich auf ins Hinterland.

KILOMETER 33,4 – 16:30 UHR

Die meistbefahrene Wasserstraße der Welt mal ganz ohne Schiffe. FOTO: JULIA WEILNBÖCK

Nach 20 Minuten querfeldein, über unebene Wiesen, Sandwege und an Bauzäunen entlang muss ich meinen Fehler eingestehen: Ich hätte den Umweg über Großnordsee, Kleinnordsee und Achterwehr nehmen sollen, anstatt die direktere, aber unbefestigte Route zu wählen. Der Gedanke, den ganzen Weg zurück zu hoppeln, lässt mich absteigen und zu Fuß nach Alternativen suchen.

Ich breche durchs Gebüsch, einen steilen Abhang hinunter und tatsächlich, eine Straße, aber abgesperrt. In diesem Moment kommt mir ein Radfahrer entgegen, der meine Hoffnung auf Wegweisung gleich enttäuscht: „Hallo! Geht es hier nach Kiel?“ Schnell sondieren wir die Lage und entscheiden uns dann, beide Räder quer durchs Gebüsch und über zwei Leitplanken zu tragen. Sehr zerkratzt, aber zufrieden, erreichen wir wenig später den Ringkanal, an dem entlang ein waldiger Weg wieder zum Kanal führt.

KILOMETER 38,2 – 17:30 UHR

An der Landwehrfähre trenne ich mich von meinem unvorhergesehenen Reisekameraden, der auf dem südlichen Ufer bleibt. Ich muss mich beeilen, denn das Obstcafé Warleberg schließt bald und ich hatte auf eine kurze Rast mit Erdbeermilch gehofft. Kurz vor Schluss erklimme ich den Hang und kann mich mit meiner fruchtigen Beute auf einer der Bierbänke niederlassen. Mit Blick über den Kanal, Wind im Rücken weiß ich: Nun ist es nicht mehr weit.

KILOMETER 46 – 19:00 UHR

Erschöpft und erleichtert genieße ich den Blick von der Levensauer Hochbrücke auf den Kanal, der die tiefstehende Sonne reflektiert. Hinter mir liegt der unebenste Spurbahnabschnitt und ein Aufstieg über 40 Meter, der zunächst über eine Serpentine und dann einen kleinen, sehr ausgetretenen Fußweg führt, der mich mehrere Male fast aufgeben ließ. Die lange Abfahrt hinunter nach Suchsdorf kühlt meine roten Wangen und bevor ich mich versehe, habe ich auch schon meine Abzweigung Richtung Wik verpasst.

KILOMETER 54,1 – 20:00 UHR

Auf dem Tiessenkai finden sich trotz der späten Stunde noch kleine Sonnenplätze für mich, mein treues Rad und das Eis am Stiel. Meine Muskeln sind müde, besonders der Rücken ist steif vom Ausgleichen der unebenen Strecken. Ich sitze an einem Ort, den ich gut kenne, doch mein Bezug ist neu. Die Entfernung, die ich hierher überwunden habe, gibt ihm neuen Kontext. Rendsburg und Kiel, Arbeit und Wohnort, sie sind verbunden, nicht nur durch den Kanal, sondern meine lange, ereignisreiche Reise. Julia Weilnböck

INFO


Die 5 besten Entspannungs-Plätze am NOK

1. Obstcafé Warleberg
Das Café bietet leckeren Kuchen mit feldfrischen Erdbeeren, den man mit einem der schönsten Ausblicke über den Kanal genießen kann. 
2. Alte Eiderkanal-Schleuse Kluvensiek
Eine perfekte Raststelle, direkt am alten Eiderkanal. Das historische Bauwerk bietet für Naturliebende ebenso wie Technikbegeisterte eine spannende Pause. 
3. Aussichtspunkt Ecke NOK/Flemhuder See 
Am Ende des südlichen Radweges des NOK mündet der Flemhuder See in den Kanal. Der holprige Weg dorthin belohnt mit einem Aussichtspunkt, wo die großen Tanker aufgrund der Verengung in Richtung Rendsburg ganz nah kommen. 
4. Erlenkampsee im Projensdorfer Gehölz
Dieser kleine See liegt am tiefsten Punkt des Projensdorfer Waldes. Bei jeder Jahreszeit ein Blickfang und Ruhepol.
5. Tiessenkai Kiel-Holtenau
Gerade in den Abendstunden zeigt die sonnige Promenade sich von ihrer besten Seite. Restaurants und Cafés stillen den kleinen und großen Hunger beim Blick auf traditionelle Segelschiffe und die Kieler Schleuse.