Verkehrsdrehscheibe des Nordens 

Durch die Region Rendsburg führen die bedeutendsten Verkehrswege Schleswig-Holsteins. Die Mixtur aus A7, drei Bundesstraßen, Eisenbahntrasse und Nord-Ostsee-Kanal ist für Wirtschaft und Tourismus ein Segen - aber es gibt auch Schattenseiten. 

Die Eisenbahnhochbrücke in Rendsburg: Das 1913 für den Verkehr freigegebene Bauwerk ist Teil der bedeutenden Nord-Süd-Eisenbahntrasse. Die Spannweite zwischen den beiden hier sichtbaren Hauptpfeilern beträgt 140 Meter. Schiffe, die unter der Brücke durchfahren, dürfen maximal 40 Meter hoch sein. FOTOS: LUFTBILDSERVICE BERNOT

Wenn Rendsburg im Radio erwähnt wird, ist die Ursache häufig der Straßenverkehr. Staus am Rendsburger Kreuz, vor und hinter der Hochbrücke oder am Kanaltunnel - vor allem in der Urlaubszeit gibt es kaum Wochenenden, an denen die Autos ungehindert rollen können. „Verkehr - ein Thema, das in Rendsburg ein Stück weit belastet ist", sagt Lutz Kirschberger von der Industrie- und Handelskammer. Und in der Tat sind Rendsburgs Verkehrswege in den vergangenen Jahren immer wieder negativ in die Schlagzeilen geraten, vor allem durch langwierige Bauarbeiten. Die Sanierung des Kanaltunnels sollte drei Jahre dauern. Tatsächlich hat sie zehn Jahre in Anspruch genommen.

Und an Baustellen herrscht wahrlich kein Mangel. Am Horizont sehen viele Rendsburger das nächste Großprojekt nahen: 2023 soll der Neubau der Rader Hochbrücke starten. Das alte Modell wird in diesem Jahr 50 Jahre alt - und kann die Verkehrsmassen auf der A7 nur noch mit Mühe bewältigen. Aus Sicht des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums ist der Neubau eines der wichtigsten Großprojekte der nächsten Jahre. Voraussichtliche Kosten: rund 350 Millionen Euro.

54.200 FAHRZEUGE AM TAG AUF DER RADER HOCHBRÜCKE

Die neue Brücke wird also kein Schnäppchen, aber die Bedeutung der Hochbrücke ist unbestritten: Im Jahr 2020 befuhren sie durchschnittlich rund 47.000 Fahrzeuge pro 24 Stunden, 2010 waren es 42.600. Die Fernstraßenbau-GmbH Deges erwartet bis 2030 einen Anstieg auf 61.700 Fahrzeuge pro Tag. Im Jahr zuvor soll die neue Brücke fertig sein. Drei Fahrspuren pro Fahrtrichtung, jeweils eine mehr als heute.

Lutz Kirschberger blickt optimistisch auf den Brückenneubau: „Bei der Rader Hochbrücke liegt alles voll im Plan." Einen ähnlichen Verlauf wie bei der Tunnelsanierung befürchtet Kirschberger nicht: „Da war es ja eine Geschichte voller Überraschungen, das Problem haben wir bei der Brücke zum Glück nicht."

,,MAGISCHES VIERECK" VERBINDET SCHLESWIG-HOLSTEIN - UND GANZ EUROPA

Die Hochbrücke stellt dabei nur einen Teil des Knotenpunkts dar: 2018 betitelte der damalige Leiter des Landesbetriebs Straßenbau und Verkehr, Matthias Paraknewitz, die Verkehrslage um Rendsburg als das „magische Viereck“. Paraknewitz spielte auf die vier Hauptverkehrsadern an: die B203 im Norden, die B77 im Westen, die B202 im Süden und die A7 im Osten. Die Bundesstraßen verbinden Nord- und Ostsee, die Bedeutung der A7 geht über die Landesebene weit hinaus.

IHK-Vertreter Kirschberger stellt heraus: ,,Die A7 ist als Anbindung an Skandinavien von enormer Bedeutung nicht nur für den bundesdeutschen Verkehr, sondern auch für die südlicheren Länder in Europa." Doch auch die B202, die Richtung Kiel zur A210 wird, sei „hochinteressant für die Wirtschaft“: Nicht nur, aber auch durch den geplanten Fehmarnbelt-Tunnel. „Ein großer Teil des Güterverkehrs läuft über Laster", begründet Kirschberger - trotz klimaschonender Alternativen ging der Anteil laut Statistischem Bundesamt in den letzten zwei Jahren erneut in die Höhe und liegt nun bei zirka 72,4 Prozent.

MEIST BEFAHRENE KÜNSTLICHE WASSERSTRASSE DER WELT

Für die Industrie ist auch Rendsburgs Lage am Nord-Ostsee-Kanal von unschätzbarem Wert: Mit ihren zwei Häfen hat die Stadt gleich mehrere Anlaufstellen für den Schiffsverkehr und die rund 30.000 Schiffe, die den NOK jährlich passieren. Neben der Wirtschaft profitiert hiervon auch der Tourismus. Das Wirtschafts- und Verkehrsministerium konstatiert: „Mit dem Nord-Ostsee-Kanal führt die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt mitten durch Rendsburg. Der Kanal ist nicht nur ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, sondern auch ein wahrer Touristenmagnet." Kai Lass von der Wirtschaftsförderung Rendsburg betont neben der motorisierten Mobilität auch die Verfügbarkeit von Fahrradwegen: „Wir haben wunderbare Radstrecken in den Naturparks und am Kanal." Dieses touristische Potential gelte es weiter zu heben - und tatsächlich: Der Ausbau der Velorouten um Rendsburg gelingt zunehmend besser.

BAHN PLANT STRECKENREAKTIVIERUNG INNERHALB RENDSBURGS

Die 1972 fertiggestellte Rader Hochbrücke ist mit einer Länge von 1498 Metern Deutschlands zweitlängste Straßenbrücke aus Stahl. 2013 wurden bei Sanierungsarbeiten umfangreiche Schäden an den Pfeilern entdeckt. Das Land ließ die Schäden instand setzen. Dennoch: Um die Belastung für die Brücke zu verringern, dürfen Laster seitdem nur noch mit einem Höchsttempo von 60 Kilometern pro Stunde über die Brücke fahren und müssen einen Mindestabstand von 25 Metern einhalten. Bis 2029 soll die Brücke durch einen Neubau ersetzt werden.

Inländische Touristen kommen derweil auch gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Kreisstadt am Kanal: Drei Bahnlinien führen nach Kiel, Husum, Flensburg und Hamburg. „Das ist für eine Stadt dieser Größenordnung schon eine Besonderheit", sagt Dennis Fiedel von der nah.sh GmbH, die für die Bahnhöfe in Schleswig-Holstein zuständig ist.

Das eigentlich Besondere ist jedoch auch für die Bahn ,,die Hochbrücke" - wenn auch eine andere. Für die Schleife wurde seinerzeit mehr Stahl verbaut als beim Eiffelturm: „Ein einzigartiges Bauwerk", schwärmt Dennis Fiedel. Doch Rendsburg habe auch hier mehr zu bieten als Eisenbahn-Vergangenheit: ,,Es tut sich was", meint Fiedel und spielt damit auf die geplante Verlängerung der Linie RB 75 von Kiel an. Ende des Jahres soll die alte Bahnstrecke nach Seemühlen reaktiviert werden. Auf der Strecke waren seit zehn Jahren keine Züge unterwegs - aber längere Pausen bei den bekannten Beförderungsmitteln sind Rendsburger schließlich gewohnt. Seit Anfang 2022 pendelt die Schwebefähre wieder unter der Eisenbahnhochbrücke - nach knapp sechs Jahren Unterbrechung.

RENDSBURG ALS NADELÖHR? „STANDORTVORTEILE IN DER ÜBERZAHL"

Das infrastrukturelle Portfolio Rendsburgs wächst also wieder. Skeptikern steht Kai Lass entschieden gegenüber: „Wenn auch von manchen die Region Rendsburg als Nadelöhr bezeichnet wird, so sehe ich die Chancen und Vorzüge unseres Standortes deutlich in der Überzahl. Der Wirtschaftsraum liegt zentral in Schleswig-Holstein und ist somit sehr gut zu erreichen und das trimodal durch Gleise und Autobahnen und auch über den Wasserweg." Melchior Bonacker